Die KZ-Gedenkstätte erforscht nun auch das Schicksal der Zwangsarbeiter von 1940 bis 1945 auf dem damaligen Hailfinger Militärflugplatz.
Die Geschichte des ehemaligen KZ-Außenlagers am Hailfinger Flugplatz ist mittlerweile ganz gut erforscht: vor allem dank der beharrlichen Arbeit der beiden Herrenberger Pensionäre Volker Mall und Harald Roth sowie ihres jüngeren Mitstreiters Johannes Kuhn. Die drei sind im Gedenkstätten-Verein und im Herrenberger Verein „Gegen Vergessen“ aktiv.
Mall, Roth und Kuhn haben akribisch in Archiven (in halb Europa, Israel und den USA) recherchiert, haben die wenigen Überlebenden und/oder die Nachkommen der jüdischen KZ-Häftlinge aufgespürt und interviewt. Aufgrund der Forschungsarbeit von Mall, Roth und Kuhn haben die Stadt Rottenburg und die Gemeinde Gäufelden vor zehn Jahren am Ende des (längst überwucherten) Flugfelds ein eindrucksvolles Mahnmal errichtet und im Tailfinger Rathaus ein Dokumentationszentrum eingerichtet.
Die Vorgeschichte des KZs
Doch das KZ-Außenlager, in dem im Winter 1944/45 mindestens 601 jüdische Männer inhaftiert waren, hat auch eine Vor- und Nach-Geschichte: als Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, vor allem aus der Sowjetunion, aus Griechenland, Frankreich, Ungarn und Indien (britische Kolonialtruppen). Das ist zwar schon lange bekannt, aber systematisch erforscht wurde diese Vorgeschichte des KZs noch nicht.
In den vergangenen Monaten haben sich Mall, Roth und Kuhn verstärkt um dieses Thema gekümmert. Sie haben viel bisher noch Unbekanntes oder Vergessenes zu Tage gefördert. Am meisten haben sie über die 350 bis 380 griechischen Zwangsarbeiter herausgefunden, die im Herbst 1944 beim Ausbau des Hailfinger Flugfelds zum Nachtjägerflugplatz schuften mussten.
Volker Mall hat darüber einen Aufsatz im aktuellen Heft der regionalen Gedenkstätten-Rundschau veröffentlicht. Eine weitere, ausführlichere Publikation ist in Vorbereitung. Über die anderen Häftlingsgruppen in Hailfingen ist bisher nur wenig bekannt.
Die Lebensbedingungen im Lager waren erbärmlich. Aber die meisten Zwangsarbeiter überlebten und konnten nach der Befreiung nach Griechenland zurückkehren. Einige blieben sogar in Deutschland.
Von der Straße weg verschleppt
Die meisten griechischen Zwangsarbeiter in Hailfingen stammten aus Athen. Dort waren sie – als Zivilisten – wenige Wochen zuvor von deutschen Besatzern und griechischen Hilfskräften einfach so auf der Straße eingekesselt und dann deportiert worden.
Mall hat eine lange Namensliste gefunden, die noch gar nicht vollständig ausgewertet ist. Auf ihr sind mehr als 1000 Männer verzeichnet, die im Viehwaggon von Griechenland nach Deutschland gebracht wurden. Ein Teil davon kam am 20. September 1944 nach Hailfingen.
Die 350 bis 380 Griechen (die genaue Zahl ist noch nicht geklärt) wurden in die Flugzeughalle gebracht. Dort schliefen sie auf etwas Stroh auf dem nackten Boden. Draußen war eine Latrinengrube. Die Gefangenen mussten auf dem Flugfeld schuften, sowie in den Steinbrüchen von Öschelbronn und Reusten. Anders als die später hergebrachten und schwer bewachten jüdischen KZ-Häftlinge konnten sich die griechischen Zwangsarbeiter außerhalb des Lagers zumindest manchmal frei bewegen und so in der Nachbarschaft um Essen oder Kleidung bitten. Einer der Griechen berichtete später, dass sie nur überlebt haben, weil sie zu Winterbeginn „eine zweite Decke“ erhalten hatten – und weil sie dann rechtzeitig von Hailfingen in andere Lager verlegt wurden, beispielsweise nach Oberjesingen, Mötzingen und Stetten bei Haigerloch (Salzbergwerk).
Drei Tote auf dem Friedhof
Den Ausbau des Hailfinger Flugplatzes mussten dann die jüdischen KZ-Gefangenen übernehmen. Die waren allerdings schon so ausgezehrt und wurden so übel misshandelt, dass viele von ihren starben. Darunter befanden sich auch etwa 20 jüdische Griechen, die aber wohl keinen Kontakt zu ihren Landsleuten im Zwangsarbeiter-Teil des Lagers hatten. Auch mindestens drei der griechischen Zwangsarbeiter starben: Der 34-jährige Athanasios Zotas kam tragischerweise bei einem amerikanischen Luftangriff ums Leben. Der 25-jährige Stylianos Wassiliou starb an den Folgen einer Zahninfektion und Mikirditsch Sachakian starb vermutlich an einer langwierigen Darmkrankheit. Die drei wurden zunächst außerhalb der Hailfinger Friedhofsmauer beerdigt und erst nach dem Krieg in ordentliche Gräber umgebettet.
Da sie als „Kriegsgräber“ gelten, wurden sie nicht nach der üblichen Ruhezeit aufgelassen, sondern weiterhin sorgfältig gepflegt – von der örtlichen Gärtnerei Schumacher und Leins, im Auftrag der Stadt Rottenburg. Die Kosten dafür werden laut Ortsvorsteherin Sabine Kircher vom Hailfinger Stadtteil-Budget getragen.
Überlebende interviewt
Bisher gab es nur wenige Kontakte zu ehemaligen griechischen Zwangsarbeitern. Vor zehn Jahren interviewten Volker Mall und Johannes Kuhn den damals 80-jährigen Eduard Rock-Tabarowski. Vor seiner Verschleppung hatte er in Athen die deutsche Akademie besucht und wurde deshalb im Hailfinger Lager als Übersetzer eingesetzt. Er blieb nach dem Krieg in Deutschland und war lange Zeit der wichtigste Zeuge über das Schicksal der griechischen Zwangsarbeiter. Er starb 2013. Erst vor kurzem hat Mall die Zeugenaussage von Nikos Skaltsas erhalten, der in einem Interview in Athen weitere Angaben machen konnte. Der Gedenkstättenverein will nun versuchen, den mittlerweile 92-Jährigen nach Hailfingen einzuladen. Archivbild: Gedenkstätte
- Januar: Vortrag über NS-Zwangsarbeit im Gäu
Am Sonntag, 28. Januar, um 17 Uhr spricht der Berliner Historiker Marcel vom Lehn im Tailfinger Rathaus über „Zwangsarbeit in Herrenberg und Umgebung“.
Lehn hat im Auftrag der Stadt Herrenberg die Lokalgeschichte in der Nazi-Zeit aufgearbeitet. Das Buch ist vor kurzem erschienen: „Herrenberg im Nationalsozialismus“. Zudem zeigt das Stadtarchiv eine Ausstellung zum Thema (bis 23. Februar).
Am 28. Januar wird Lehn auf Einladung der KZ-Gedenkstätte im Tailfinger Rathaus sprechen. Dabei wird es auch um das Schicksal der griechischen Zwangsarbeiter in Hailfingen gehen.
Bereits um 16 Uhr gibt es eine öffentliche Führung durch das KZ-Dokumentationszentrum im Tailfinger Rathaus. Der Eintritt ist frei.
ST 27.01.2018 / Michael Hahn